Quantenspuk und Realität

aus: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2007

Niels Bohr sagte einmal: »Wenn es Ihnen beim Studium der Quantenmechanik nicht schwindelig wird, dann haben Sie sie nicht wirklich verstanden.« Die Welt der Quantenphysik ist bizarr und sie wird, so zeigen es laufend neue Experimente, noch bizarrer. Um solche Zeichen als Zäsur zu fassen, sprechen manche bereits von einer »zweiten Quantenrevolution«.

Aber selbst unser vermeintliches Verständnis der Quantenwelten wird in den letzten Jahren zunehmend gefährdet, etwa beim legendären Welle-Teilchen-Dualismus. Seit Mitte der 1980er Jahre experimentiert der Forscher Alain Aspect am berühmten Doppelspaltversuch mit »verzögerter Wahl«. In diesem Versuch werden wie üblich Photonen durch zwei Löcher geschickt. Doch brauchen sich die Lichtpartikel hier erst – per Messvorrichtung – für »Teilchen« oder »Welle« zu entscheiden, nachdem sie den Apparat durchflogen haben. Als der französische Experimentator kürzlich in einem Vortrag darüber berichtete, schien mir, als würde auch er diese Ungeheuerlichkeit fast als ein Mysterium hinnehmen, das man zwar untersuchen, aber mit dem Verstand nicht wirklich begreifen könne.

Auch die Debatte um die Realität der Mikrowelt kocht seit einigen Jahren wieder kräftig auf. Diesmal ist es hauptsächlich der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger, der immer wieder Rekorde mit so genannten »verschränkten Photonenpaaren« aufstellt.

Einmal erzeugt, bilden Photonenpaare ein gemeinsames Quantensystem, selbst wenn man die Photonen danach weit voneinander trennt. Wird dann eines der beiden Teilchen vermessen, fixiert dies wie durch einen telepathischen Befehl augenblicklich auch die Eigenschaft des Geschwisterteilchens.

Das ist die »spukhafte Fernwirkung«, über die 1935 erstmals Einstein, Podolsky und Rosen nachdachten. Zeilinger, dem ich dafür einen Nobelpreis wünsche, hat bewiesen, dass die Fernwirkung zwischen den Quantenpartikeln über viele Kilometer reichen kann. Derartige Nichtlokalität widerspricht Konzepten vom lokalen Realismus, wie sie einst Einstein in seinem Dauerdisput mit Niels Bohr verfocht. In Einsteins Sicht sollten Messergebnisse lokalisierter Systeme vollständig durch deren physikalische Realität am Ort der Beobachtung festgelegt sein – und nicht zusätzlich durch ferne Ereignisse.

Doch neue Experimente speziell aus diesem Jahr scheinen zu zeigen, dass selbst ein nichtlokaler Realismus dem Quantenverhalten nicht gerecht wird (Nature 446, S. 871) – was auch Alain Aspect beunruhigt. Diese Resultate würden bedeuten, kommentierte er kürzlich, dass man »auf die Art von Realität verzichten muss«, die er gerne gehabt hätte (Nature 446, S. 866). Aber zugleich könnte sich diese »zweite Quantenrevolution aus ihrem jetzigen Zustand der Grundlagenforschung in eine vollwertige technologische Revolution« verwandeln.

Anton Zeilinger ist davon überzeugt, dass Quantenphysik – »wenn wir sie eines Tages wirklich verstanden haben« – noch revolutionärer sein wird als die Leistungen etwa von Kolumbus oder Kopernikus. »Es wird schlichtweg um die Frage gehen, was Wirklichkeit ist.« Wenn Sie Lust haben, sich selbst mit dem Quantenrätsel des Welle-Teilchen-Dualismus etwas näher zu befassen, dann hilft Ihnen unser Beitrag auf S. 68 sicher weiter – mit einem »Quantenradierer« zum selbst Basteln. Herzlich Ihr

Reinhard Breuer
Chefredakteur
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